Heute geht’s wieder um unsere Störfaktoren und um die Frage, wie wir ihnen den Zahn ziehen können. Bei euren Rückmeldungen zu den Top 5 Ablenkungen bei der Arbeit mit euren Pferden können wir drei große Themenbereiche unterscheiden:
- Ablenkungen durch „Action“ um euch herum, wie z.B. viel Betrieb am Stall, Gesprächsbedürftige Stallkollegen, Handwerkerarbeiten, Wettereinflüsse
- Unsicherheit bei Dir selbst, z.B. mit an den Stall gebrachte Emotionen, Schwierigkeiten beim Training, Arbeit in neuer Umgebung.
- Angst
Das Thema „Action“ schauen wir uns als erstes an und teilen die Problematik gleich in zwei Teile: Ablenkungen für den Reiter und Ablenkungen für das Pferd. Da bekanntlich das Pferd erst wirklich entspannt sein kann, wenn wir es sind, steigen wir auch gleich mit der Paradelösung für Reiter ein, die sich am Stall einfach nicht mehr ablenken lassen wollen:
Du brauchst einen Plan. Und einen Plan B.
Wir sind immer dann abgelenkt, nervös, aufgeregt, wenn etwas passiert, wofür wir nicht sofort die passende Reaktion im Kopf haben. Ihr habt euch die Dinge, die euch am Stall am meisten aus der Ruhe bringen, ja bereits aufgeschrieben und kennt nun eure Widersacher. Also habt ihr die besten Voraussetzungen dafür, euch das entsprechende Gegenmittel zu überlegen.
Steigen wir mit einem Beispiel ein. Immer wenn Du eine Reitstunde hast, sind drei oder vier andere Personen mit Pferd in der Halle, die sich lautstark unterhalten / Longieren bis zum Hufschlag / in der Bodenarbeit kreuz und quer durch die Halle laufen / die Bahnregeln nicht kennen / Ihre jungen Pferde nicht auf Spur halten können. Hier fällt euch sicher eine Menge ein. Das Gegenmittel: Ist die Situation so durcheinander, dass ein gezieltes Arbeiten wirklich kaum noch möglich ist, könnt ihr euch an einen Tisch setzen. Vielleicht kann jemand seine Trainingszeit anpassen. Vielleicht könnt ihr euch auf ein paar Regeln einigen (nur ein Pferd wird longiert, Hufschlag bleibt dabei immer frei, „Vorfahrtsregeln“ für Reiter oder Pferd am Boden. Vielleicht ist die Situation aber auch ein perfektes Training für die nächste Turniersaison und das Durcheinander auf den Abreitplätzen. Du kannst trainieren, Deine Konzentration zu verbessern (dazu kommen wir später noch) und ganz bei Deinem Pferd zu bleiben. Sprich mit Deinem Trainer im Vorfeld darüber und arbeitet immer wieder gezielt daran, die Situation zu meistern.
Ein anderes Beispiel: Die Mitstreiterin, die Dich schon am Putzplatz mit Schmankerln aus ihrem Leben ablenkt und jede Menge Tipps parat hat. Das Gegenmittel: Leg Dir schon zu Hause einen netten, freundlichen Satz zu Recht, mit dem Du ihr bei der nächsten Gelegenheit erklärst warum die Unterhaltungen zu diesem Zeitpunkt ein Problem für Dich sind. Und mach andere für das Thema sensibel. Wirst Du beim Putzen oder Warmreiten z.B. gefragt, wie Dein Ausflug am Wochenende war, dann antworte freundlich aber bestimmt, dass es sehr nett war und Du gerne alles erzählst, wenn Du mit dem Pferd fertig bist. Ein gutes Beispiel solltest Du natürlich auch abgeben und darauf achten, dass Du andere nicht ablenkst.
Sei vorbereitet!
Worauf wollen wir hinaus? Wenn ihr euch vorher schon überlegt, was ihr gegen eine Störquelle tun könnt, habt ihr die passende Reaktion im richtigen Moment parat und kommt gar nicht so weit, dass ihr euch dadurch ablenken lasst. Könnt ihr sie abstellen, anpassen, umgehen, euch zu Nutze machen? Wie könntet ihr dabei vorgehen? Legt euch einen Plan zu Recht und dann nichts wie ran ans Thema.
Geht eure größten Störquellen durch und überlegt euch eine Ausweichstrategie, macht euch einen Plan. Wenn ihr erst einmal abgelenkt seid, kommt ihr schwer wieder zurück zu einem entspannten Arbeiten, und euer Pferd muss sich auch erst wieder konzentrieren. Seid ihr schon in das Gespräch mit der Mitstreiterin verstrickt, so könnt ihr es nur schwer abbrechen, ohne unhöflich zu werden. Seid ihr gut auf die Situationen vorbereitet, könnt ihr schnell reagieren und tatsächlich etwas daran ändern.
Wenn der Plan nicht funktioniert
Natürlich lässt sich nicht alles vorhersagen, was im Stallalltag passieren kann. Aber ihr seid in dieser Hinsicht schon alte Hasen und wisst, was euch aus dem Trott bringt und was nicht. Für die Fälle, in denen ihr wirklich aus dem Konzept kommt, gibt es eine ebenso geniale Lösung: den Plan B.
Seit einiger Zeit gehört bei uns die Equikinetic immer mal wieder zum Trainingsplan. Dazu muss ich die blau-gelbe „Quadratvolte“ aufbauen. Nun gibt es Tage, an denen ich mit beiden Pferden Equikinetc machen will, aber die Halle belegt ist, oder mit jungen Pferden gearbeitet wird, für die meine Gassen viel zu aufregend sind, und der strömende Regen auf dem Platz macht es unmöglich auszuweichen. Oder ich möchte mein Pferd reiten, aber der Putzplatz ist schon überfüllt und ich bekomme Zeitdruck, wenn ich lange warte. Alle anderen wollen ebenfalls reiten, und da ich schlecht geschlafen habe zweifle ich an meiner Konzentrationsfähigkeit in einer vollen Halle. Vielleicht hab ich darauf auch einfach überhaupt keine Lust.
In solchen Fällen ist es hilfreich, einen Plan B in der Tasche zu haben. Was bringt uns das? Ganz einfach: Sicherheit. Wenn wir uns zu dem, was wir tun wollen, eine Alternative überlegen, kann uns etwas Unvorhergesehenes nicht so leicht aus dem Konzept bringen. Wir vermeiden unnötige Pausen, bis wir eine Alternative gefunden haben, und kommen so nicht unter Zeitdruck. Und wir können uns schon vorher Gedanken machen, wie wir das eigentliche Training sinnvoll austauschen könnten, so dass der gewünschte Effekt erhalten bleibt. Statt dem gesamten Aufbau für Equikinetic kann ich beispielsweise einen kleinen Zirkel mit vier Pylonen markieren und damit arbeiten. So lässt sich auch gleich testen, ob wir zwischenzeitlich die Spur auch ohne Gassen halten können. Oder ich mache frei am Boden entsprechende Übungen, die ich mir vorher schon überlegt habe. Ist der Putzplatz überfüllt, kann ich z.B. auf dem Paddock Hufe kratzen und statt Reiten in der Halle auf dem Reitplatz longieren. Oder ich mache stattdessen einen Spaziergang, übe das Schulterherein an der Hand und suche mir einen grusligen Weg, um ein bisschen an der Gelassenheit des Pferds zu arbeiten.
Der Plan B schafft uns vor allem eines: ein gutes Gefühl im Kopf. Kommt er zum Einsatz, haben wir beim bzw. nach dem Training nicht das „Mist, es hat nicht funktioniert“-Gefühl, sondern ein „Das haben wir mal prima hinbekommen“. Da wir diese Stimmung wie jede andere auch auf unser Pferd übertragen, ist die Prima-Variante definitiv besser als die Mist-Version.
Die Exit-Strategie
Wer sich beruflich mit strategischen Themen auseinandersetzt, dem sagt die „Exit-Strategie“ sicherlich etwas. Ist man bei einer Entscheidung unsicher, ob die vorhandenen Alternativen Sinn machen, kann man schlicht und einfach keine davon wählen. Das können wir uns auch im Stall zu Nutze machen, wenn wir in einer Situation, aus welchem Grund auch immer, kaum in der Lage sind sinnvoll zu arbeiten.
Ich persönlich bin ein großer Verfechter davon, diese Lösung auch wirklich immer im Hinterkopf zu behalten, denn manchmal ist die „Stop-Taste“ wirklich die bessere Wahl. Ob und wann ihr diese Taste drückt, müsst ihr selbst nach Bauchgefühl entscheiden.
Ich hatte mit meinem Michel Anfangs wirklich zu kämpfen. Nachdem er mich einmal beim Reiten „verloren“ hat, habe ich in die Riege der Angst-Reiter gewechselt. Beim ersten Aufsteigen nach dem Sturz war ich genau drei Sekunden im Sattel, und das ging nur mit vier unheimlich geduldigen Begleiterinnen neben mir und dem Pferd. Wir haben uns herangetastet, es gab gute und schlechte Tage. An manchem schlechten Tag bin ich nicht aufgestiegen, auch wenn ich gerne wollte und das eigentlich auch das Ziel war. An solchen Tagen hatte ich so viel Angst davor, dass ich auf dem Pferd nur ein Nervenbündel gewesen wäre. Und da meine Gefühle sich 1:1 auf Michel übertragen, kann das kein gutes Ende nehmen.
Wir sind wieder beim grundlegenden Thema dieser Artikelserie angekommen: wir müssen unsere Pferde und ihre Reaktionen genau kennen, und wir müssen uns gut einschätzen können, um zu wissen, ob wir in einer konkreten Situation noch einen Lerneffekt haben können, oder ob wir die Situation erst entspannen müssen. In manchen Situationen müssen wir auch schnell entscheiden, ob es gefährlich wird oder nicht. Das geht nur, wenn wir unsere Pferde gut kennen. Versuchen wir etwas zu erreichen und es geht schief, haben wir im Zweifelsfall mehr kaputtgemacht als gewonnen.
Was wir gewinnen, wenn wir nichts tun.
Exit heißt jedoch nicht, dass wir unser Pferd frustriert aufräumen und nach Hause gehen. Nicht trainieren heißt nicht, dass wir nichts tun. Nutzen wir die Gelegenheit und verschaffen unserem Pferd einen Wellness-Tag. In einer angstbehafteten Situation wie in meinem Beispiel oben ist es z.B. sehr hilfreich, sich einen Führstrick zu schnappen und so lange miteinander über den Platz zu laufen, bis beide zufrieden und entspannt sind. Wenn wir mit unseren Pferden nichts tun und nur entspannt zusammen sind, dann wächst unsere Beziehung. Auch Pferde genießen es, mal nicht zu müssen. Nutzen wir Phasen, in denen nichts klappt, doch einfach, um das wichtigste überhaupt zu tun: das Vertrauen zwischen uns und unserem Pferd aufbauen.
Für ein gesundes Miteinander
Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich mich geschämt habe, weil ich nicht in der Lage war mein Pferd zu reiten. Der Zuschauer sieht ja nicht, ob da nun Angst oder andere Beweggründe im Hintergrund stehen. Man erkennt nur einen Reiter, der mit seinem Pferd nicht klarkommt. Michel und ich durften (und dürfen) zum Glück in einem Stall an dieser Angst arbeiten, in dem es nur ein Miteinander gibt und jeder den anderen unterstützt. Wir wurden von alten Hasen beglückwünscht, weil wir eine Runde ordentlichen Trab geschafft haben, und ich habe unheimlich viel Zuspruch bekommen, als ich mich die ersten Male ohne Trainer mit Michel auf den Platz getraut habe. Unser erster Ausritt war schon fast eine Sensation. Eine Atmosphäre, in der man Fehler machen darf, in der man Angst zugeben kann und in der jeder den anderen unterstützt, ist in einer solchen Situation unendlich wertvoll.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen und an alle Pferdemenschen appellieren, diesen Zusammenhalt in allen Ställen und auf allen Turnierplätzen aufzubauen und zu pflegen, wo auch immer es geht. Es spielt keine Rolle, welches Pferd wir reiten. Es spielt auch keine Rolle, welche Reitweise wir verfolgen. Und ob wir dabei am Anfang stehen oder schon Profis sind ist auch egal. Wir alle wollen am Ende nur eins: eine gute Zeit zusammen mit unseren Pferden haben. Wie viel schneller wären wir alle am Ziel, wenn wir uns dabei gegenseitig unterstützen anstatt uns, wie man leider so häufig hört, gegenseitig Steine in den Weg zu legen. Wir Reiter sind nämlich auch deutlich entspannter, wenn ein schönes Miteinander am Stall herrscht. Unsere Pferde werden es uns danken!
Foto: Gerhard Bleicher