Cool, dass ihr bei unserem aktuellen Thema am Ball bleibt und weiterlest. Mittlerweile seid ihr ja schon Profis, wenn es um Ablenkungen geht. Ihr habt euch sicher schon eure Gedanken dazu gemacht, wie ihr die Störenfriede sanft, aber entschieden, aus eurem Stall-Alltag entfernen könnt.

Heute geht es um Ablenkung, die wir nicht so leicht wegschieben können wie die Faktoren im Äußeren, über die wir bereits gesprochen haben. Was ist mit den Dingen, die euch ganz tief drin beschäftigen? Eure Gefühle, eure Sorgen? Wie kommt ihr wieder zur Ruhe, wenn ihr euch vor irgendetwas ganz furchtbar erschreckt? Und was macht ihr mit eurem Pferd, wenn es sich genauso furchtbar erschreckt? Wenn es echt Angst hat? Wenn es sich hochschaukelt, weil es eine Übung noch nicht kennt und nicht weiß was ihr wollt? Wie kommt man gegen diese Dinge an? Wie schaffen wir es, das alles nicht auf unser Pferd zu spiegeln und ihm gleichzeitig das, was es selbst mitbringt, leichter zu machen?

Michel und ich haben ein ganz wunderbares Talent. Manchmal sieht man auf Youtube Videos von Kleinkindern, die sich quasi hin und her erschrecken, weil das eine immer erschrickt, wenn sich das andere gerade erschrocken hat. Das können wir perfekt, und mitunter erschrecken wir damit sogar Dritte, weil die meinen es muss wirklich was passiert sein, wenn wir gleich beide erschrecken.

Willkommen in der neutralen Zone

Ich bin Yogi. Neben meiner Familie, Pferden, Katzen und Musik mit lauten Gitarren gehört meine Leidenschaft den Asanas auf der Matte. Den Weg dorthin hat unsere Mini-Chefin geebnet, da war sie noch nicht mal geboren. Auf Anraten diverser Magazine für werdende Eltern habe ich mich zum Schwangerschafts-Yoga angemeldet und der Matte von diesem Moment an nie wieder den Rücken zugekehrt. Es klingt abgedroschen, ich weiß, aber Yoga hat mein Leben verändert, und noch viel mehr mich selbst.

Keine Angst, der Rest des Artikels dreht sich nicht ums „OM“. Aber um die vielen kleinen Dinge, die man sich vom Yoga abschauen kann, wenn man sich selbst in die neutrale Zone bringen will. Was ist das überhaupt, die neutrale Zone? Das ist der Zustand in dem ihr seid, wenn ihr euch völlig auf eine Sache konzentriert. Der Fokus ist beim Pferd, ihr seid entspannt, konzentriert und innerlich ganz ruhig. Alles um euch herum ist ausgeblendet. Alles in euch drin hat Sendepause. Hört sich gut an, oder? Die gleiche Zone gibt es auch bei euren Pferden. Wisst ihr, was passiert, wenn ihr beide beim Training in dieser Zone seid? Ihr fangt an zu tanzen, glaubt mir. Das schönste daran ist, dass man das lernen kann. Nicht von heute auf morgen, aber es gibt viele kleine Übungen auf dem Weg dahin. Und selbst wenn diese unglaublich tolle Zone meilenweit entfernt zu sein scheint, jeder noch so kleine Schritt hilft euch, ruhiger zu sein und besser abschalten zu können.

Tipps für Entspannungsübungen jeder Art und Weise findet ihr in rauhen Mengen im Internet, ihr müsst nur die Suchmaschinen füttern. Da ist mit Sicherheit für jeden Geschmack etwas dabei. Allerdings ist nicht jede Übung für den Stall oder die Arbeit mit dem Pferd geeignet. Jetzt heißt es „ausprobieren“. Schaut euch einfach ein bisschen um, probiert aus, findet heraus was zu euch passt und was nicht. Manche Dinge kann man super in fünf Minuten zu Hause machen, bevor man in den Stall fährt. Andere Übungen sind eher zur Soforthilfe geeignet. Experimentiert und passt die Übungen so an, wie sie zu euch passen. Und zu eurem Pferd. Wenn das z.B. überhaupt nicht gerne steht, solltet ihr euch keine Übung aussuchen, bei der ihr die Hände frei haben müsst. Meine Favoriten für die schnelle Entspannung im Training und die grundsätzliche Ruhe für den Alltag möchte ich euch hier vorstellen.

Schnelle Hilfe

Atmen. Über den Atem können wir uns im Grunde in jeden Zustand versetzen, den wir uns wünschen. Und für so ziemlich jeden Zustand gibt es die passende Atemübung. Ich liebe es, besonders am und auf dem Pferd über Atemübungen zu entspannen, weil diese sich auch direkt auf das Pferd auswirken. Vielleicht habt ihr ja auch schon einmal erlebt, dass eure Pferde entspannt abschnauben wenn ihr tief Luft holt und lange ausatmet. Atmet in den Bauch, denn nur dann führt die Atmung auch zu einer Entspannung. Besonders uns Frauen fällt eine tiefe Bauchatmung oft schwer, da wir es gewohnt sind, unseren Bauch eher einzuziehen als herauszustrecken. Das sollte uns an der Stelle aber herzlich egal sein, vorausgesetzt die Reithose setzt der Atmung keine Grenzen.

Meine Lieblings-Atemübung für schnelle Entspannung: Atme tief in den Bauch ein. Halte die Luft für drei oder vier Sekunden an. Atme vollständig aus, bis sich die Lunge komplett leer anfühlt. Halte wieder für drei oder vier Sekunden an. Atme tief in den Bauch und wiederhole die Übung bis Du Dich wieder ruhig fühlst. Diese Übung, insbesondere ein lautes Ausatmen, hilft bei uns übrigens auch wenn es gar nicht um mich geht, sondern um Michel. Er reagiert wunderbar auf Atemübungen, es dauert meist nicht lang bis auch er entspannt ausatmet.

Loslassen. Zieh beide Schultern bis hoch zu den Ohren, so weit Du kannst, und atme dabei tief ein. Halte die Position kurz und lass die Schultern dann, begleitet von einer festen Ausatmung, nach unten fallen. Mit dieser Übung entspannst Du Deine Schultern, die Atmung beruhigt und Du kannst Anspannung loslassen. Das funktioniert auch ganz hervorragend vom Sattel aus.

Bewegen. Anspannung, Angst und Stress können dazu führen, dass wir uns komplett fest machen. Im Sattel kannst Du Dir einen Moment Zeit nehmen und von der Spitze des großen Zehs bis hoch zum Scheitel jeden Muskel, der Dir begegnet, einfach einmal wackeln lassen. Auf dem Boden kannst Du so richtig explodieren. Michel und ich lieben es, wenn ganz viel Anspannung im System ist, einfach zu rennen. Optimal ist natürlich, wenn man sein Pferd kurz alleine laufen lassen kann, das geht aber auch am Bodenarbeitsseil wunderbar. Schritt, Trab, Galopp, Handwechsel, Stehen, Rückwärts, und gleich wieder antraben – wir Menschen können uns dabei wunderbar auspowern, die Pferde werden locker und können Energie abladen.

Für den Alltag

Meditation. Nicht erschrecken, damit meine ich nicht (nur) eine halbe Stunde im Schneidersitz auf der Yogamatte in anderen Sphären zu schweben. Es gibt viele Formen der Meditation. Sie alle haben gemeinsam, dass unser Geist zur Ruhe kommt. Wir können dabei auch mit Emotionen und Sorgen besser klarkommen. Das bedeutet nicht, dass wir das alles ausblenden können – vielleicht müssen wir das ja gar nicht. Vielmehr können wir unsere inneren Unruhequellen einfach einmal sein lassen, ohne darüber nachzudenken. Mit Meditation können wir unseren Frieden finden, auch wenn wir mitten im Feuer stehen. Das geht sogar erstaunlich einfach.

Starte mit mehr Achtsamkeit. Nimm Dir ein paar Minuten Zeit um etwas zu beobachten. Besonders gut eignet sich natürlich die Natur: ein Baum, die Berge, Blumen, die Nachbarskatze, Dein Pferd, eine Pfütze oder nur ein Blatt. Konzentriere Dich wirklich darauf, versuche es zu sehen, beobachte seine Bewegungen. Es funktioniert auch ganz prima, seinen eigenen Atem zu beobachten. Atme durch die Nase ein und aus, und spüre dabei genau hin wie sich die Luft an und in Deiner Nase anfühlt. Welchen Weg nimmt sie bis in die Lunge? Wie fühlt sich die Luft beim Ausatmen an?

Solche kleinen Ruhepausen helfen Dir in jeder Situation und bringen Dich schnell zur Ruhe. Je öfter Du übst, desto besser ist der Effekt in echten Stress-Situationen abrufbar. Das gilt natürlich für alle Entspannungstechniken. Egal ob in der Arbeit, zu Hause, beim Sport oder am Stall: ihr könnt immer und überall drei Minuten Pause machen, für frische Luft sorgen und zur Ruhe kommen.

Ein Tipp zum Thema Gedankenkarusell

Es herrscht oft die Meinung, dass bei der Meditation die Gedanken und unsere „inneren Äffchen“ völlig zur Ruhe kommen sollen. Mag sein, dass manche Menschen das tatsächlich können. Die meisten allerdings nicht. In der Regel dauert es sogar nur ein paar Sekunden, bis das Gedankenkarusell wieder Anlauf nimmt. Der Sinn der Sache ist nicht, unseren Gedanken auszuschalten, das werden wir kaum schaffen. Viel mehr geht es darum, sie einfach mal so hinzunehmen und sein zu lassen, nicht aktiv in das Spiel einzusteigen. Ich habe vergessen die Briefe einzuwerfen? Ist jetzt nicht wichtig. Was soll ich überhaupt heute Abend kochen? Kann ich später überlegen. Aber auch die tiefgründigeren Fragen rund um alle Sorgen, die uns begleiten, können wir einfach ziehen lassen. Wir müssen sie einfach nur nicht kommentieren. Versucht am Anfang auch gar nicht erst, einen Weltrekord aufzustellen. Macht es euch bequem, konzentriert euch, und probiert mal eine Minute eure Gedanken zu entspannen. Mal wird es euch leicht fallen, mal überhaupt nicht. Ihr müsst es nicht erzwingen. Hauptsache ihr fangt damit an.

Wie für die meisten Themen gibt es mittlerweile auch jede Menge Apps, die Entspannung und Achtsamkeit fördern und euch bei der Meditation helfen sollen. Das ist sicherlich nicht grundsätzlich falsch, aber passt bei der Suche bitte darauf auf, wie diese Apps funktionieren. Sind sie so gestrickt, dass ihr die ganze Zeit auf eure Smartphones schauen müsst, solltet ihr sie ignorieren. Nehmt euch lieber eine entspannende Musik und beobachtet für ein paar Minuten den Himmel, davon habt ihr mehr als wieder mal auf das Smartphone zu starren.

Und jetzt ans Pferd

Auch unsere Vierbeiner können von Entspannungsübungen profitieren. Zum einen freuen sie sich natürlich, wenn wir entspannt und konzentriert sind. Zum anderen sollten wir auch herausfinden, wie unsere Pferde am schnellsten ruhig werden, um diese Übungen im Training zu nutzen. Wie reagiert Dein Pferd auf Aufregung oder wenn es sich erschreckt hat? Mag es gerne laufen, um die Energie loszuwerden? Steht es lieber und kommt so zur Ruhe? Hilft gemeinsames Atmen? Oder vielleicht ein Kraulen am Hals oder an der Stirn? Manche Pferde mögen Berührung auch gar nicht so gerne, sondern brauchen in solchen Momenten Distanz.

Findet heraus, wie eure Pferde ticken, wie sie sich am schnellsten beruhigen. Übt das bei jeder Gelegenheit, denn je mehr Routine sich hier bildet, desto schneller könnt ihr eure Pferde damit aus der Aufregung herausholen.

Nehmt dieses Thema mit in euren Alltag und probiert einfach aus, was funktioniert. Könnt ihr vielleicht auf dem Weg in den Stall schon die richtige Musik hören? Gute Laune Lieder helfen an unschönen Tagen, entspannte Klänge, wenn die Kollegen gerade wirklich zum aus der Haut fahren waren. Vielleicht atmet ihr einfach ein paar Mal tief durch, bevor ihr zu eurem Pferd geht. Oder ihr baut Pausen ein, in denen ihr nur steht und diese eine Stelle am Hals krault. Findet eure Rituale, für euch selbst und für eure Pferde. Dann findet ihr ganz automatisch den Weg in die neutrale Zone, wo euch nichts und niemand mehr ablenken kann.