Wir waren so schön drin in unserer Serie „Cooler Reiter, cooles Pferd“, doch dann stand die Welt auf einmal Kopf und so vieles hat von heute auf morgen unsere komplette Aufmerksamkeit gefordert. Cool waren wir in den letzten Tagen nicht immer.

Sicher war es bei euch nicht anders. Niemand von uns hat gelernt damit umzugehen, wenn das komplette Leben, das wir kannten, sich in kürzester Zeit ändert und wir überhaupt nicht wissen, was auf uns zukommt. Und wir wären schlechte Pferdemenschen, wenn wir uns nicht auch um unsere Vierbeiner Sorgen machen würden. Egal, ob man die Pferde am eigenen Hof stehen hat oder in einem Pensionsstall, es gibt genügend „was wäre wenn“ Fragen, die uns alle beschäftigen.

Das nächste Thema in der „Cooler Reiter, cooles Pferd“ Serie wäre „Angst“ gewesen, ganz speziell die Angst von uns Menschen vor dem Umgang mit Pferden, vor bestimmten Gefahren oder vor dem Reiten im Allgemeinen. Ich habe lange überlegt, ob ich heute über Angst schreiben möchte. Da so viele Menschen in Deutschland und überall um uns herum im Moment allerdings mit sehr existenzieller Angst zu kämpfen haben, fehlt mir – so seltsam es auch klingt – der Mut dazu, heute als Nicht-Profi über Angst zu schreiben.

Ich möchte mich lieber auf das Thema Gelassenheit konzentrieren. Auch das wäre Teil unserer Serie gewesen, und ich möchte gerne meine Sicht auf das Gelassenheitstraining zeigen. Ich weiß, dass diese Sicht nicht jeder teilen wird, aber mal durch eine andere Brille zu schauen schadet ja nie.

Flatterband, Plane, Regenschirm

Es macht tatsächlich Sinn, wenn wir unsere Pferde erschrecken. Pferde sind bekanntlich Fluchttiere, die gerne vor allem, was ihnen gefährlich vorkommt, davonlaufen. Wie intensiv sie das im Zusammenleben mit uns Menschen bzw. mit ihrem konkreten Menschen tun, wenn es brenzlig wird, hängt ganz davon ab, wie sehr sie ihrem Menschen vertrauen.

Dieses Vertrauen müssen wir also aufbauen. Keine ganz einfache Angelegenheit, denn Vertrauen ist eine extrem vielschichtige Sache. Im Grunde ist die gesamte Zeit, die wir mit unserem Pferd verbringen, und jede Tätigkeit, die wir zusammen tun, dazu geeignet, Vertrauen aufzubauen – im besten Fall. Es ist das Ergebnis der Qualität, die die Beziehung zu unserem Pferd aufweist. Nicht zuletzt deshalb ist es auch so wichtig, sich die Themen aus der „Cooler Reiter, cooles Pferd“ Serie wirklich zu Herzen zu nehmen. Eine ruhige Atmosphäre und ein Mensch, der seinem Pferd zuhört, achtsam mit ihm umgeht und selbst bei der gemeinsamen Arbeit entspannt und fokussiert ist – diese Dinge helfen schon maßgeblich dabei, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen.

Genau deshalb macht es auch Sinn, sich unter diesen Voraussetzungen mit dem bekannten Schreck- oder Gelassenheitstraining auseinanderzusetzen. Wenn ihr mit euren Pferden in entspannter Atmosphäre und ohne Zeitdruck durch den Flatterband-Vorhang lauft, sie unter LKW-Planen versteckt oder auf ihrem Rücken Regenschirme aufspannt (und das bitte wirklich mit Vorsicht), dann lernen sie Schritt für Schritt, dass ihnen nichts passiert, wenn ihr gemeinsam  unbekannte und vielleicht gefährliche Situationen erlebt. Sie lernen, dass sie sich mit euch zusammen unter diese Plane trauen können, und dass das genauso für den Regenschirm und das Flatterband gilt, oder für den großen Gummiball, der sie auf einmal anspringt. Für mich ist dabei auch immer interessant zu sehen, wie schnell sich die Prioritäten verschieben, wenn Leckerli im Spiel sind.

Bei uns im Stall gibt es im Moment ein Dach, das durch die vielen stürmischen Tage nicht mehr fest sitzt und unheimlich klappert. Dummerweise befindet sich das direkt über unserem Putzplatz. Mein Michel stört sich an klappernden und flatternden Dingen überhaupt nicht, so lange er sie sehen kann. Also haben wir die Gelegenheit an windigen Tagen genutzt und geübt uns diesem Dach so weit zu nähern, dass er es nicht mehr sehen kann. Wir haben uns langsam herangetastet, sehr langsam. Geschwindigkeit kam erst in die Geschichte, als ich ihm nach einem Windstoß, während dem alle vier Beine am Boden blieben, ein Leckerli gegeben habe. Wir haben uns einen großen Schritt nach vorne gewagt, ein neuer Windstoß kam, das Pferd blieb am Boden … und kaum war alles still bekam ich einen auffordernden Rempler gegen den Ellenbogen. Auch Pferde sind nun mal bestechlich. Ob das für euch funktioniert, müsst ihr natürlich selbst entscheiden.

Der Praxistest

Dieses Training sollten wir natürlich nicht nur auf dem sicheren Reitplatz durchführen. Unsere Pferde wissen ja im Grunde, dass ihnen hier nicht viel passieren kann. Das echte Leben spielt sich draußen ab. Und die Möglichkeiten, hier an der Gelassenheit zu arbeiten, sind schier unendlich, wenn man erstmal auf der Straße steht. Traktoren mit fantastisch seltsamen Hängern, Schilder, Steine, Grillplätze, Planen, Baustellen, Bagger, Bahngleise und der Zug dazu, oder bei unserem Merlin das Shetty, das sich konstant aber doch sehr überraschend am Rand unserer Lieblings-Fahrstrecke befindet. Wenn wir all diese Gelegenheiten nutzen, uns die Situationen Schritt für Schritt mit unseren Pferden anzusehen, lernen wir gemeinsam wie wir am Besten ruhig bleiben. Die Pferde haben ausreichend Gelegenheit zu verinnerlichen, dass ihnen nichts passiert und unsere Entscheidung, sich der gefährlichen Stelle zu nähern, richtig ist. Genau das ist wirklich essentiell, denn dieses Wissen bewahrt uns im Ernstfall vor der wilden Flucht – sie müssen abgespeichert haben, dass der Mensch schon richtig entscheidet.

Das andere Schrecktraining

Oft hört und sieht man jedoch eine andere Variante des Schrecktrainings, die ich persönlich für bedenklich erachte. Tatsächlich haben Michel und ich das „aus dem Bauch heraus“ schon bevor wir uns mit den entsprechenden Themen beschäftigt haben nie so gemacht, es hat sich für uns nicht richtig angefühlt.

Dem Training liegt die Annahme zu Grunde, dass das Pferd lernen soll einen Reiz auszuhalten, und erst wenn es sich nicht mehr dagegen wehrt oder nicht mehr wegläuft, hört der Reiz wieder auf. Das  ist sicherlich ganz sinnvoll, wenn man dem Pferd etwas komplett Neues näherbringen möchte, wenn es z.B. lernen soll sich von einer Gerte oder ähnlichem entspannt berühren zu lassen. Aber immer in Maßen, in sehr kleinen Schritten, mit viel Zeit und Lob.

In der Praxis sieht das leider oft ganz anders aus. Ziel ist, dass das Pferd bei der Berührung nicht weichen und entspannt bleiben soll. Ein Gegenstand, z.B. eine Plastiktüte oder ein flatterndes Tuch, werden dem Pferd gezeigt. Danach wird das Pferd damit berührt. Der Mensch folgt dem Pferd so lange mit diesem Gegenstand, bis es stehenbleibt. Der Reiz wird erst weggenommen, wenn das Pferd aufhört sich zu wehren oder zu fliehen.

In meinen Augen passieren hier zwei Dinge, mit denen wir das Gegenteil von dem erreichen, was wir eigentlich erreichen wollten. Zum einen lernt das Pferd nicht, dass es keine Angst vor dem Gegenstand zu haben braucht. Es lernt lediglich, dass der Gegenstand nur weggeht wenn es nicht mehr wegläuft. Damit bringen wir dem Pferd bei, einen natürlichen Reflex zu unterdrücken und sich quasi genau entgegengesetzt zu verhalten. Was passiert, wenn wir ausreiten und das Pferd sich vor einem Gegenstand am Wegesrand erschreckt, der natürlich nicht wieder weggeht? Das führt meiner Ansicht nach zu tickenden Zeitbomben, da wir nie genau wissen wann ein Reiz dann doch zu groß wird, und die Reaktion des Pferdes fällt dann entsprechend heftig aus. Vielleicht kennt ihr ja selbst Pferde, die auf dem Reitplatz nahezu alles mitmachen, deren Reiter aber von jedem zweiten Ausritt zu Fuß zurückkommt. Diese Pferde haben nicht gelernt, ihrem Menschen in dieser Situation zu vertrauen.

Das zweite Problem dabei ist, dass nicht nur der Gegenstand selbst angsterweckend ist, sondern dass wir selbst es sind, die das Pferd damit bedrohen. Damit vermitteln wir eben gerade nicht, dass sich das Pferd in unserer Anwesenheit keine Sorgen machen muss, sondern dass wir Menschen das Ganze sogar noch steigern. Ich möchte bezweifeln, dass das Vertrauen zwischen Pferd und Mensch auf diese Weise wächst.

Als Kaltblutbesitzer müssen wir uns mit dieser Art des Schrecktrainings genau auseinandersetzen. Und natürlich muss jeder selbst entscheiden, was für sein Pferd passt und was nicht. Kaltblüter ticken, was ihre Reaktion auf Gefahrensituationen angeht, aber etwas anders als andere Rassen. Im Gegensatz zu ihren blütigeren Kollegen sind sie im ersten Moment nicht darauf gepolt zu fliehen. Sie versuchen sich zu verstecken, oder bleiben einfach stehen. Genau das wird oft mit dieser „stoischen Ruhe“ verwechselt, die man den Kaltblütern nachsagt. Allerdings sitzen wir genau hier wirklich auf einem Pulverfass. Erkennt man nicht, was in dem Pferd gerade passiert, und verpasst die Grenze, erlebt man eine Explosion, in die unsere Lieblinge all Ihre Masse und Ihre Kraft legen. Ein panisches Pferd ist per se schon unhaltbar. Eine knappe Tonne Pferd in diesem Zustand ist richtig gefährlich.

Die stoische Ruhe unserer Kaltblüter kommt nicht davon, dass sie keine Angst haben. Sie kommt davon, dass sie vertrauen. Fragen wir uns bitte wirklich kritisch, mit welcher Form von Training wir dieses Vertrauen am besten erreichen.

Vertrauen macht den Unterschied

Stellen wir uns eine klassische Erschreck-Situation vor: wir gehen spazieren oder reiten aus und kommen an einem Holzstapel vorbei, der mit einer Plane abgedeckt ist. Ein unerwarteter Windstoß fährt unter die Plane, die sich wie aus dem nichts aufbläst und wie ein Drache neben uns in die Höhe steigt. Erst einmal erschrecken wir alle – ich kenne kaum Menschen, die in solchen Situationen nicht auch zusammenzucken. Aber was tut unser Pferd? Ist es längst im gestreckten Galopp unterwegs, Hauptsache weg von diesem Drachen? Oder schaut es den Drachen skeptisch an, bleibt aber bei uns und hört brav zu, obwohl wir selbst auch erschrocken sind?

Den Unterschied zwischen Weglaufen und Zuhören macht das Vertrauen. Natürlich gibt es noch ganz viele Möglichkeiten zwischen diesen Extremen. So kann das Pferd sich z.B. mit einem großen Satz aus der Gefahrenzone bringen und erst einmal alles anschauen. Oder mit allen vieren tänzeln als wäre der Boden Lava, bis der Mensch es aus der Gefahrenzone gebracht hat. Wichtig ist in diesem Moment nur eine einzige Frage: entscheidet das Pferd selbst, was richtig ist, oder wartet es auf die Entscheidung des Menschen? Wie sehr hat das Pferd in allen bisherigen Momenten zusammen mit dem Menschen gelernt, dass es sicher ist, wenn es seinen Entscheidungen folgt?

Die Vertrauensfrage wird ganz besonders dann offensichtlich, wenn der Mensch sich auch erschreckt, zusammenzuckt, und einen Moment braucht um die Situation zu erfassen. Michel und ich sind in dieser Hinsicht echte Helden. Wann auch immer Michel sich selbständig gemacht hat, sich z.B. losgerissen hat oder gestiegen ist, bin ich zuvor erschrocken. Zum Glück ist uns das wirklich nur sehr selten passiert. Mittlerweile ist Michel völlig egal, ob ich erschrecke. Er kennt mich. Er weiß, dass ich ab und zu nervös werde. Er hat aber auch gelernt, dass das für ihn keine Gefahr bedeutet. Gleichzeitig habe auch ich an meiner Gelassenheit gearbeitet und vertraue mir selbst in meinem Umgang mit Michel. Wir sind mit viel Ruhe, Zeit und einem achtsamen Umgang miteinander zu einem Team geworden. Ich habe gelernt, wie ich mein Pferd am besten beruhigen kann, und wie ich selbst ruhig bleibe, um spannende Situationen zu meistern.

Kein Ei gleicht dem anderen

Natürlich reagieren Pferde völlig unterschiedlich auf erschreckende oder gefährliche Situationen, und kein Pferd-Mensch-Paar ist miteinander zu vergleichen. Während das eine Pferd sich sowieso selten vor etwas erschreckt, ist man beim anderen schon zufrieden, wenn es endlich entspannt am Putzplatz steht. Unsere Kaltblüter laufen nur selten kopflos davon, sie werden eher starr vor Schreck. Wir müssen das wissen und erkennen, wann sie Angst haben, wann wir sie aus einer SItuation holen müssen und wie viel wir ihnen zumuten können.

Genauso unterschiedlich sind wir Menschen. Was uns Angst macht und wie wir auf diese Angst reagieren, ist völlig unterschiedlich. Wollen wir solche Situationen mit unseren Pferden entspannt meistern, reicht es nicht, dafür zu sorgen, dass sie sich vor der einen Tüte, mit der wir immer trainieren, nicht mehr erschrecken. Wir müssen unsere Pferde kennenlernen und ihre Angst verstehen. Wir müssen auch auf uns selbst schauen und verstehen, wann wir im Zusammenspiel mit unseren Pferden Angst bekommen. Oder was uns auch ohne Pferd Angst macht: Stürme, Gewitter, oder das ungute Gefühl im Bauch, bevor wir durch eine Unterführung gehen. Nur wenn wir hinschauen, können wir unsere Pferde und uns selbst verstehen, Ursachen erkennen und Schritt für Schritt Lösungen finden. Wir müssen nicht zu Superhelden werden, die nicht erschrecken, und unsere Pferde auch nicht. Wir können statt dessen ein Team werden, das sich kennt, sich versteht und miteinander durch dick und dünn geht.

Da war sie doch: die Angst

Eigentlich wollte ich heute ja nicht darüber schreiben. Ein bisschen Angst brauchen wir aber schon, wenn wir uns mit dem Thema Gelassenheit beschäftigen wollen, wäre sie nicht da wären unsere Pferde ja ausnahmslos grundentspannt. Wer weiß, vielleicht kommen wir mit dem richtigen Training für Mensch und Tier ja irgendwann dort an.

Für alle, die sich aktuell auch mit dem Thema „Angstfrei reiten“ beschäftigen wollen, kann ich einen Kurs von Susanne Grun empfehlen. Den gibt es im Moment auch noch zu sensationellen Einführungskonditionen. In diesem Intensivkurs lernst du bei freier Zeiteinteilung (und intensiver Arbeit an dir selbst) von zu Hause aus, wie du endlich deine Angst bewältigen und wieder mit Spaß und Freude reiten kannst.

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